Unter dem Regenbogen

Wien war vom 1. bis 16. Juni 2019 die Regenbogenhauptstadt Europas! Denkt man an schwule, lesbische, inter-, bi- oder transgender Menschen, fallen einem meist junge, aktive, schillernde Personen ein – vermeintliche Randgruppen wie Senior*innen und Geflüchtete wohl eher nicht. Während es für die junge LGBTIQ-Community viele Angebote in Wien gibt, haben genannte Gruppen kaum Anlaufstellen und Orte zum Austausch. Daher ist es für uns als Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen an der Zeit, zwei tolle Initiativen vor den Vorhang zu holen.

 

Alt und queer – na und? 
Schwule und lesbische Pensionist*innen, ältere transgender Männer oder bisexuelle Frauen sind im öffentlichen Leben kaum sichtbar. Geht man von rund 10 Prozent homosexueller Bevölkerung aus, gibt es in Wien aber fast 40.000 schwule bzw. lesbische Senior*innen. Trotz dieser beachtlichen Zahl sind sie sowohl gesamtgesellschaftlich als auch in der (auf junge Menschen ausgerichteten) queeren Szene unterrepräsentiert.

Das fiel auch Markus Gebhardt vom Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP) auf: Selbst in der Queer Community verankert, schrieb er seine Masterarbeit zum Thema „Queer Aging“. Seine Conclusio: Schwulen und lesbischen Pensionist*innen fehlen oft geschützte Orte und der direkte Austausch über ihre Erfahrungen und Lebensrealitäten. Homosexualität ist schließlich nicht das Gesprächsthema Nummer eins in Pensionistenklubs und -wohnhäusern und Heterosexualität für viele ältere Menschen einfach die Norm.

Der Öffentlichkeit zeigen, wie sie leben 
Diese Bevölkerungsgruppe sichtbarer zu machen und ihren Bedürfnissen nachzukommen, ist ein notwendiger Schritt zur Inklusion und dem Bewusstmachen unterschiedlicher Lebensformen. Gebhardt beschloss daher, ein Angebot für LGBTIQ-Senior*innen zu konzipieren – einen Regenbogen.Treff. Nach anfänglicher leichter Skepsis waren die Gäste im SeniorInnen.Treff Gumpendorfer Straße überzeugt von der Idee. Am 25. Jänner 2019 fand dort der erste Regenbogen.Treff statt: Jeden letzten Freitag im Monat heißt der Treff unter dem Regenbogen explizit LGBTIQ-Senior*innen willkommen. Er ist nicht nur Anlaufstelle und Ort zum Austausch, sondern fördert durch Vorträge und Exkursionen auch das Wissen rund um Queersein in Wien.
Nicht-LGBTIQ Gäste sind an diesen Freitagnachmittagen nicht nur willkommen, sondern erwünscht: Das offene, akzeptierende Miteinander im Sinne der Inklusion steht im Mittelpunkt, nicht die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität. Durchschnittlich sind ca. 50 Personen bei den Regenbogen.Treffs dabei, die Hälfte davon ist queer. Zwischen zehn und 15 Personen davon sind treue Stammgäste. Markus Rumelhart, Mariahilfer Bezirksvorsteher, ist diesmal auch beim Regenbogen.Treff zu Gast: Selbst offen homosexuell, freut er sich sehr über dieses Angebot für die ältere Zielgruppe.

 

Mehr Offenheit und mehr Akzeptanz bedeuten mehr Lebensqualität
Das KWP widmet sich dem Thema LGBTIQ nicht nur im Rahmen des Regenbogentreffs: Im Herbst 2018 wurde das Projekt „Regenbogen überm KWP“ geschaffen. Projektleiterin Geraldine Smetazko berichtet: „Wir wollen Offenheit und Akzeptanz und damit auch die Lebensqualität unserer Bewohner*innen fördern. Die Pensionisten-Wohnhäuser sind nicht nur eine Betreuungs- und Pflegeeinrichtung, sondern auch ein Lebens- und Entfaltungsraum. Und dort soll sich jeder Mensch mit seinem oder ihrem individuellen Lebensentwurf willkommen und respektiert fühlen.“

Zurück zum Regenbogen.Treff: Die Stimmung vor Ort ist locker und ungezwungen, der Schmäh rennt. Stammgast Bernhard berichtet: „Ich freue mich jedes Mal auf den Nachmittag. Hier treffe ich meine Freunde, schließe neue Bekanntschaften und habe Spaß.“ Er lebt seit 35 Jahren in einer Beziehung und berichtet, dass er und sein Partner Reinhard glücklicherweise nie mit Diskriminierung zu kämpfen hatten – leider keine Selbstverständlichkeit. Er schwärmt von der angenehmen Atmosphäre: „Hier kommt es nicht darauf an, ob ich auf Frauen oder Männer stehe. Wir sind eine bunt gemischte Runde, jeder ist willkommen. Als schwuler Pensionist ist man froh, wenn es einen Ort gibt, wo man sich ungezwungen austauschen kann und wo die sexuelle Ausrichtung des einzelnen keine Rolle spielt. Solche Stempel sind nämlich unnötig.“
Ob die Überwindung, zum Regenbogen-Treff zu kommen, für die Senior*innen groß ist? „Nein“, sagt Gebhardt schmunzelnd, „für viele ist es schlimmer, in einen Pensionistenklub zu kommen, als in den Regenbogen.Treff. Damit drücken sie sich nämlich den Stempel ‚alt‘ auf.“ Außerdem können viele, die in Wohnhäusern leben, dort nicht offen über ihre Sexualität sprechen. Beim Regenbogen-Treff schon – sofern sie das wollen. Deklarieren muss sich niemand.

 

Inklusion statt eigene, exklusive Angebote
Die Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (WASt) startete schon 2009 gemeinsam mit Sandra Frauenberger – damals Stadträtin für Antidiskriminierung – die Auseinandersetzung mit Lesben, Schwulen und Transgender-Personen im Alter. Ein Round Table, Queere Stadtgespräche und Vorträge machten auf das Thema aufmerksam. Außerdem konzipierte die WASt einen Fortbildungsworkshop für Pflegepersonal zum Thema „Sexuelle Orientierungen und Transidentitäten“.

WASt-Geschäftsführer Wolfgang Wilhelm ist die ältere Zielgruppe ein besonderes Anliegen: „LGBTIQ-Senior*innen sind in unserer Gesellschaft so gut wie unsichtbar. Das muss sich ändern. Ältere Menschen haben – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität – das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben . Initiativen wie den Regenbogen.Treff begrüßen wir daher sehr.“

2015 folgte die IFES-Studie „Wohnen, Pflege und Betreuung im Alter bei Homosexuellen und Transgender“. Diese untersuchte die Wünsche und Erwartungen der schwulen, lesbischen und transgender Community zur Pflegesituation im Alter. Das Ergebnis: LGBTIQ-Menschen wollen kein eigenes Betreuungsangebot, sondern am liebsten zuhause oder in für LGBTIQ-Themen sensibilisierte Pflegeeinrichtungen betreut werden. Kurz gesagt: Sie bevorzugen es, gemeinsam mit heterosexuellen Menschen zu leben – allerdings in einem wertschätzenden Umfeld. Die Stadt Wien sieht die Studienergebnisse als Auftrag, auf Inklusion und Bewusstseinsbildung statt auf exklusive Angebote für LGBTIQ-Menschen zu setzen. Der Regenbogen.Treff ist ein Beweis dafür, dass der Wiener Weg der richtige ist.
Als Dachverband unterstützen wir diesen Zugang: Je inklusiver und bunter unsere Gesellschaft ist, umso akzeptierter werden nicht-stereotype Lebensformen und umso selbstbestimmter können Menschen leben – egal welcher sexuellen Orientierung und Identität.

 

Geflüchtete Homosexuelle – eine doppelt stigmatisierte Gruppe
Homosexuell sein ist schon für ÖsterreicherInnen oft mit Stigmatisierung und Diskriminierung verbunden, für Menschen aus restriktiveren Ländern noch viel mehr. Wie geht es daher queeren Geflüchteten aus Ländern wie Afghanistan nach dem Ankommen in Wien?
Ambivalent, sagt Andreas Diendorfer, Geschäftsführer des in der Flüchtlingshilfe tätigen Vereins tralalobe. Einerseits bedeutet das Ankommen im progressiveren Europa Freiheit, andererseits trüben die schwierigen Lebensumstände die Erleichterung. Und hier lebende Menschen aus der „alten“ Heimat sind genauso homophob und abwertend wie zuhause.
Queere Geflüchtete brauchen daher spezielle Unterstützung und Betreuung. tralalobe hat im Herbst 2016 zusammen mit Queer Base im 20. Bezirk eine LGBTIQ-WG für zehn Personen geschaffen. Im Wohnhaus in der Josefstadt wurden weitere 15 Plätze geschaffen, sodass derzeit 25 LGBTIQ-Asylwerbende zielgruppenspezifisch untergebracht werden können. Dort bekommen sie nicht nur Wohnraum, sondern spezifische Betreuung und auf sie abgestimmte Angebote.
Wie auch in so manchem europäischen Land, ist offen gelebte Homosexualität in Afghanistan stigmatisiert. Spezielle Spielformen homosexueller Handlungen sind jedoch akzeptiert, z.B. die Penetration eines „feminisierten“ Mannes. Eine noch erschütterndere afghanische Tradition ist Bacha-Bazi (übersetzt „Spiel mit Kindern“). Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen, z.T. Buben im Volksschulalter, ist in manchen Gegenden an der Tagesordnung. Dieser gleichgeschlechtliche Kindesmissbrauch ist eine akzeptierte Praxis, bei der oft arme Familien ihre Kinder zur Verfügung stellen müssen.

 

Mit seiner Identität gut leben können
Betroffene Jugendliche kämpfen mit solchen Erfahrungen und deren Auswirkungen. Mit anderen darüber zu reden, fällt schwer. Einrichtungen wie tralalobe schaffen wertvollen geschützten Raum für Geflüchtete, von denen manche über sich selbst sagen, dass sie in ihrem Leben „noch nie etwas Gutes erlebt“ haben. Workshops, Beziehungsarbeit, Therapieangebote und auch das Vorbild sexuell selbstbestimmter MitarbeiterInnen, egal welcher Orientierung, helfen den Menschen dabei, ihre Welt neu zu ordnen. Sie lernen andere Lebensentwürfe und Beziehungsmodelle abseits von Heteronormativität kennen.
Die Angebote zeigen bei fast allen BewohnerInnen große Wirkung, berichtet Andreas Diendorfer: Die zumeist jungen Menschen kommen zur Ruhe, fassen Vertrauen, finden zu sich selbst und beginnen, auch über unangenehme Themen zu sprechen und zu reflektieren.

Link Tipps:

Weitere Vorschläge